Hallo Georg,
für den Balgen solltes du ausschließlich echte Makroobjektive benutzen. Die Normalobjektive ohne Macro-Zusatzbezeichnung sowie alle Zooms mit dem Zusatz "Macro" (evtl. mit Sperrschieber) sind für optimale Nahaufnahmen nicht geeignet, es sei denn, du bevorzugst eine blumige Darstellung mit Unschärfen am Rand und mehr oder wneiger starken Farbsäumen. Hier gibt es allerdings eine Schmerzgrenze, wo viele Fotografen noch sagen: Okay, das akzeptiere ich, Hauptsache ich komme nah ran.
Wer aber mal echte Macroaufnahmen gesehen hat (man betrachte mal die Fotos in den übrigens für den Systemüberblick sehr hilfreichen Canon-System- und Canon Macro-System-Prospekten der Jahre etwa 1976 bis 1986) wird erkennen, dass es noch deutlich besser geht.
Canon hatte, wenn ich mich richtig erinnere, ab 1965 für das FD-Bajonett (auch an FL- und R-Kameras passend)neun verschiedene echte Macro-Linsen für den Nahbereich im Angebot.
Es sind drei mit 50mm Brennweite:
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FL(M) 3,5/50mm (ab 1965)
- FD 3,5/50mm SSC (ab 1973)
- FDn 3,5/50mm (ab 1979).
Dazu kommen drei 100mm-Linsen:
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FLM 4/100mm (ab 1969, ohne Schneckengang, nur mit Balgen sinnvoll zu nutzen)
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FD 4/100mm SC Macro (ab 1975)
- FDn 4/100mm Macro (ab 1979, mit versteckter Feststellmöglichkeit für den Entfernungsring).
Mit dem FDn-Bajonett baute Canon dann auch noch eine lange Macro-Brennweite, die auch Fotos von Tieren mit größerer Fluchtdistanz zuließ, es war das:
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FDn 4/200mm Macro (ab 1981).
Außerdem gibt es noch zwei Lupenobjektive, die:
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Macro Photo Lens 2,8/35mm
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Macro Photo Lens 3,5/20mm.
Diese beiden Macro-Objektive fallen von der Form her aus dem Rahmen, denn sie haben ein Mikroskopgewinde und werden über einen Adaper an das FD-Bajonett angeschlossen. Man kann sie auch direkt oder mit Zwischenringen an die Kamera anschließen, das Scharfstellen klappt in diesen Vergrößerungsbereichen aber nur noch mit dem Balgen sinnvoll.
Zu den Einsatzgebieten. Die normalen optischen Gegebenheiten beim Fotografieren mit einem einzelnen Objektiv gelten bei starken Auszugsverlängerungen wie etwa mit dem Balgen nicht mehr, das wirst du gemerkt haben beim Fotografieren mit dem Zoom.
Plötzlich ist nicht mehr die Brennweite so entscheidend für die Abbildungsgröße, sondern genauso der Auszug. Dessen Veränderung wirkt sich auf wenigen Zentimetern so stark aus als wenn wir draußen etliche Meter auf das Motiv zu oder davon weggehen. Deshalb ist es im Macrobereich mit Balgen nach meinen praktischen Erfahrungen nicht mehr alles entscheidend, ob man ein 50 oder 100mm Macro davorsetzt. Die gravierendste Auswirkung ist der veränderte Aufnahmeabstand.
Motive im Briefmarken- oder Postkartenformat lassen sich mit beiden sowohl mit als auch ohne Balgen noch bequem brauchbar ablichten, wobei das 100er letztlich für Details praktischer ist, auch wegen der Beleuchtung.
Längere Brennweiten (wie ein 70-200) machen das System unhandlich und schwerer ausbalancierbar. Denn hier geht es ja oft um lange Belichtungszeiten.
Die beiden Lupenobjektive sind das Extrem. Schon mit geringem Balgenauszug liefern sie sehr starke Vergrößerung, bis zu zehnfache Größe des Originals wird auf dem Film abgebildet, mit zusätzlichen Zwischenringen bis zu 20fach, also dann schon im Mikrobereich. Allerdings ist dann im Sucher kaum noch was zu erkennen und die Beleuchtung wird kritisch.
Die Schärfentiefe ist ohnehin bei allen Balgenaufnahmen extrem gering, selbst bei Blende 16 oder 32 ist bei einem tiefgestaffelten Motiv immer noch viel im Unschärfebereich.
Wenn du im Freien fotografieren willst und natürliches Licht (evtl schwache Blitzaufhellung) nutzt, wirst du wahrscheinlich ohnehin oft mit offener Blende arbeiten. Dann kommen auch die Objektive ohne FD-Charakteristik in Frage, es sind die FL-Linsen, wo man bei Arbeitsblende die Belichtung messen muss, wie auch bei den beiden Lupenobjektiven. Sie sind aber deutlich seltener anzutreffen und deshalb sicher nicht billiger als die FD-Versionen (egal ob mit oder ohne Chromring).
Zum automatischen Schließen der Blende (sowohl bei FD als auch FL) brauchst du auf jeden Fall den Doppeldrahtauslöser, der zum Balgen gehört. (Ich habe ihn noch nie benutzt, weil ich entweder bei offener Blende fotografiere oder ohnehin bei Sachaufnahmen soviel Zeit ist, bei Arbeitsblende zu fotografieren).
Am bequemsten ist am Balgen die Zeitautomatik (A-1, AV-1, AL-1, T80, T90, T60, F-1N, F-1 EE, wenn ich keine vergesen hab). Auch manuelle Einstellung und Messen auf Graukarte bietet sich an. Für einige Modelle gibt es zum Scharfstellen die Scheibe mit Fadenkreuz (Typ "I"), wo in der Mitte Klarglas ist, was das Bild extrem hell macht, da die Mattscheiben bei geringem Licht kaum noch ein Scharfstellen zulassen. Mit Fadenkreuz muss man nur zuerst die spezielle Scharfstelltechnik erlernen, ist aber simpel. Lupensucher (für F-1 und F-1N) und Sucherlupen erleichtern das korrekte Scharfstellen.
Ich würde eines der FD50mm Macro empfehlen, im gleichen Atemzug die 100er. Das 200er ist deutlich teurer.
Einen guten Überblick liefert übrigens Canons eigene Museumsseite mit aktuellen und historischen Details und einem Überblick über fast alle je gebauten Kameras und Objektive:
http://www.canon.com/camera-museum/camera/lens/index.html
Da dort die Lupenobjektive noch nicht abgebildet sind, hänge ich hier mal ein Foto des 3,5/20mm an.
Um dir vorzustellen, wie stark sie vergrößern, soviel: Das 20er wurde auch genutzt, um damit Super-8-Filmbilder formatfüllend abzufotografieren. Diese Bildchen sind 4,2 mal 5,7mm groß (das 35er passte für Repros vom 16mm-Film).
Beides sind tolle Objektive zum Experimentieren, allerdings sind sie im Einsatzgebiet schon etwas eingeschränkt wegen der starken Annäherung. Die Lupenobjektive und das FLM 100 lassen sich nur am Balgen nutzen, alle anderen Makros auch im Normalbereich bis Unendlich.
Flexibler sind die 50er und 100er, wobei ich zwischen den Versionen mit und ohne Chromring keinen großen Unterschied feststellen kann, das Feeling ist etwas anders. Hier können Marktlage und Preis entscheiden. Was die Wirkung angeht, vergleich doch einfach das 1,4/50 und das Zoom bei 100mm, die bessere Schärfe musst du dir denken.
Übrigens: Alle Canon-Balgen (R, M, FL und FD) können mit entsprechendem FD/EOS-Macro-Adapter (ohne Linse) auch an EOS-Kameras genutzt werden.
LG und viel Erfolg,
Thomas