Hallo ihr da draussen !
Jetzt habt Ihr mir aber gleich einiges zu beissen gegeben... Vorab noch die hilfreiche Bemerkung, dass ich als autodidaktischer Ingenieur in der glücklicherweise noch recht traditionellen Schweizer Maschinenindustrie arbeite. Ich entwickle, baue und vertreibe selbständig Industriemaschinen, von deren Existenz der Normalbürger keine Ahnung hat.
Wir haben mittlerweile eine gegenüber vor fünfzig Jahren sehr vielschichtige Zivilisation aufgebaut, die aber mittlerweile grosse Gefahr läuft, etwas zu betreiben, was im privaten Rahmen ja durchaus Spass macht, als Staatsform aber nicht funktionieren kann: Selbstverarschung.
Nehmen wir zum Beispiel die drei TV-Sender mit den höchsten Einschaltquoten Deutschlands. Ich weiss nicht, ob es Anderen auch so geht, bei mir löst so viel ausgestrahlte Dummheit Schmerzen aus und ich entziehe mich dem Spektakel. Nun musste ich feststellen, dass der Begriff "Volksverdummung" irgendwie negativ belegt ist, auch wenn er hier im wahrsten Sinne des Wortes unheimlich zutreffend ist.
Wenn man nun fast nie TV schaut, dann sieht man andere Dinge, als derjenige, der pro Woche eine Stunde oder mehr fernsieht. Meine Grossmutter hat mir ihre herzlich misstrauische Art vererbt, darum hinterfrage ich gewisse Dinge meist mit den Worten "quid bene ?" Wer profitiert ?
Als Kind kannte ich noch TV-Sendungen wie den Telekolleg, die ernsthaft der Bildung dienten und dies zumindest schon dadurch bewiesen, dass zu diesen Sendezeiten keine Werbung ausgestrahlt wurde. Heute können wir uns dies trotz zehn bis fünfzig Mal höheren Budgets der Sender nicht mehr leisten, TV wird über die Werbung finanziert und wehe, wenn die Einschaltquoten nicht stimmen.
Nun, wie es scheint, sind wir nur noch in einem Punkt Weltspitze: im Konsum. Dies, und nichts anderes ist heute unser Kulturträger. Wer es nicht glaubt, dem zitiere ich hier aus einer technischen Fachzeitschrift, wo über die Diskrepanz des Kunststoffverbrauchs zwischen Europa/USA und dem Rest der Welt (über 100kg/Kopf und Jahr gegenüber rund 20kg im Rest der Welt, inkl. Osteuropa) folgender Kommentar steht: "Der Nachholbedarf bei den osteuropäischen Ländern, Asien und Lateinamerika ist noch sehr gross."
Das schreibt ein Ingenieur....den indirekten Vorwurf, dass diese Länder arm dran sind, weil sie noch nicht soviel Rohstoffe in Müll umwandeln wie wir. Die von der Energiewirtschaft würden höchstens noch hinzufügen, dass sie dazu auch noch viel zu wenig Energie verbraten. In solchen Momenten wäre ich gerne Tiefseeraucher oder Taschenmesser.
Eines ist mir vor dem TV bewusst geworden: hier werden Konsumenten gezüchtet. Eine Kultur der Konsumenten kann aber nur auf der Basis eines sehr grossen Mittelmasses funktionieren. Sie kann auch nur dann funktionieren, wenn sie nicht von allzuvielen allzulaut hinterfragt wird.
Das perfide an unserer Konsumkultur ist, dass sie einerseits staatstragend geworden ist, uns aber auf einen genauso selbstmörderischen Weg gebracht hat, wie ein viel offensichtlicherer Wahnsinn vor rund 70 Jahren. Denn in meinen Augen begeht unsere Welt gerade eine recht billige Art von kulturellem Selbstmord, indem wir uns mit Nintendo, RTL, BMW, Bildzeitung, Top-Ten-Hits, der "Zeit", Parteipolitik, aufgebauschten Nichtproblemen, Leicas, Kernkraftwerken, schlechten Drogen, Kaffeepausen, Bausparverträgen, Bier, Einkommenssteuererklärungen, Versicherungen, Familienplanung, neuen Möbeln und dem, was die anderen von uns denken, zudröhnen. Und dies dem Rest der Welt auch noch aufzuzwingen versuchen.
Unser redliches Bestreben, gute Autos zu bauen, hat dazu geführt, dass die Dinger so einfach zu bedienen sind, dass sprichwörtlich jeder Depp damit umgehen kann. Das ist zwar sehr sozial und demokratisch, führt aber jetzt dazu, dass wir, ein Volk von Autofahrern, das Auto immermehr mit verkniffenem Gesicht als "notwendiges Übel" bezeichnen müssen. Dabei handelt es sich um einen uralten Menschheitstraum. Ich fürchte schon jetzt, dass meine Urenkel einmal fragen, wofür denn das grosse Rad vorne im Auto gewesen sei. Wenn ich dann antworte, dass man damit das Auto selber lenken konnte, dann sehe ich einige sehr viel schwerer wiegende Fragen auf mich zukommen.
Mit der Bildung ist es auch so eine Sache. Als das Bildungsniveau hierzulande am höchsten war, hatten wir auch noch die Prügelstrafe in den Schulen. Die Diskriminierung der Höherbegabten ist beileibe keine Erfindung der Neuzeit, es ist leider eine sehr menschliche Eigenart, dass die grosse Masse danach trachtet Köpfe, die über sie hinausragen, entweder zu unterdücken oder abzuschneiden. Diese Erkenntnis ist an sich uralt, ich fand sie schon bei den Römern. Im Gegensatz zu uns kannten die Römer jedoch kein Marketing als staatstragende Institution. Die Glücklichen, ihre Kultur brauchte immerhin beinahe zweitausend Jahre bis zum Untergang. Heute erlauben wir uns, derartig gefährliche Gewächse fröhlich und unbeaufsichtigt inmitten unseres kulturellen Netzwerkes wuchern zu lassen.
Werbung macht mehr aus als man denkt. So gelten wir Europäer in Südamerika als eher unhygienische Gesellen,wofür wir selber herzlich wenig können. Dafür aber die Marketingstrategen, die einen Werbekrieg zwischen den verschiedenen Herstellern von Hygieneartikeln wie Always Ultra oder Klopapier im TV veranstalteten. Es genügte, dass einige Südamerikaner dies mitbekamen. In Südamerika sind diese Artikel so gut bekannt, dass keiner auf die Idee käme, Geld in Fernsehwerbung dafür zu stecken. Und so nehmen die Leute dort an, dass wir diese Produkte noch nicht kennen, warum sonst würde man so intensiv Werbung dafür machen ?
China hat derartige Werbung per staatlichem Dekret untersagt. Was spricht eigentlich FÜR unsere "repräsentative Demokratie" ?
Das wars für den Moment...
1 fröhlicher Gruss
Tante Oliver