Hallo Irene,
fotografisch aufgenommene Bilder haben große Ähnlichkeit mit den aufgenommenen Objekten. Manchmal lassen sie sogar "Stimmungen" erkennen oder Verbindungen zwischen abgebildeten Objekten.
Aber sie geben die Wirklichkeit nur annähernd wieder, vermitteln nur unvollkommen räumliche Gegebenheiten und müssen sogar in vielen Fällen "verändert" werden, damit sie "wirklichkeitsgetreuer" sind. Das wäre in Deinem Sinne sicher kein "Verfälschen" - was aber wäre es? Man kann Bilder natürlich fälschen und verfälschen. (Personen, die in einer Diktatur in Ungnade gefallen ist, werden aus vormaligen Bildern, wo sie neben Führungskräften stehen, wegretuschiert. Ein schönes Beispiel sind auch die hier gelegentlich zu sehenden Bilder von D200 usw.)
Wenn man auf Farbfilm in der Mittags- oder in der Abendsonne fotografiert, oder Personen unter einem grellfarbigen Sonnenschirm, erhält man farbstichige Bilder. Man wirkt dem entgegen durch die Wahl des Films und insbesondere durch Farbfilter mit korrigierenden Dekamired-Filtern. Selbst bei Schwarz-Weiß-Film kann es, je nach Motiv, erforderlich sein, sich zwischen ortho- oder panchromatischem Filmmaterial zu entscheiden.
(Ganz zu schweigen von holografischen Aufnahmen, bei denen man auch neben und hinter die fotografierten Objekte schauen kann.)
Es gibt Bilder, so zum Beispiel Sonnenuntergänge, die "verkitscht", soll heißen zu kräftig gefärbt aussehen, die aber so der Wirklichkeit entsprochen haben, und die "verkitschten" gibt es natürlich auch.
Auch ich neige der Auffassung zu, man solle an einem Bild möglichst nichts verändern.
Bei der D70 ist man gezwungen, Schärfe, Kontrast usw. zu verändern, damit man "natürliche" Bilder erhält.
Darf man eine überbelichtete Stelle auf dem Bein der Biene (oben) retuschieren?
Ich meine folgendes:
Die Biene hat keine solche Stelle. Diese überbelichtete Stelle wird erst durch die Fotografie erzeugt.
Retuschiert man sie, behebt man keinen Fehler der Biene, sondern einen solchen an dem fotografierten Bild.
Das jedenfalls halte ich für legitim, wenn man überhaupt einmal davon ausgeht, dass es eine Art Codex für das Fotografieren und das Behandeln von Bildern gibt.
Auch Maler standen vor der Frage, wie sie eine Landschaft, einen Menschen (den reichen und vielleicht auch mächtigen Auftraggeber z. B.) malen sollen - ob die stechenden Augen, die Falten, die Warze auf der Nase o. ä. weggelassen werden sollen. Im übrigen werden in der Protraitfotografie, was hier schon einige Male erörtert wurde, keine Makro-Objektive verwendet. Ist das schon "Verfälschen"? Objektiv gesehen sicher, aber es gilt als für diesen Zweck gerechtfertigt.
Es ist allerdings nicht unmöglich, dass ein Fotograf vermittels der Bearbeitung von Bildern sich den Eindruck außerordentlicher Könnerschaft verschafft, so wie ein Kartenspieler, der ein As aus dem Ärmel holt. Auch das würde ich nicht verurteilen, es dient der Weiterentwicklung der fotografischen Möglichkeiten, zu denen schon immer die Bildbearbeitung gehört hat.
Eine eingehende und möglichst unvoreingenommene Untersuchund dieses Themas müßte ausholen bis zur Moralphilosophie. Dabei könnten dann Regeln für einen Codex herauskommen, die sich schon bei der nächsten, konkretisierenden Gelegenheit als unhaltbar herausstellen können.
Aus alle dem ergibt sich meines Erachtens, dass jeder machen soll, was er für richtig hält - oder sogar was er will - die anderen, die sich seine Bilder ansehen, werden darüber urteilen - wobei viele aber keinesfalls unvoreingenommen, gerecht oder sachkundig vorgehen.
Die Situation des Fotografen ähnelt insofern der des Mannes, der mit seinem Sohn und einem Esel zur Stadt ging: ob beide darauf reiten, ob der Vater, ob der Sohn oder keiner: es war immer falsch.
Das war selbstverständlich zu weitgehend und auch daneben, aber der Satz: "Verfälschen möchte ich ein Bild allerdings möglichst nicht." verleitet doch sehr zu einigen grundsätzlichen Überlegungen (die ihrerseits naturgemäß subjektiv, voreingenommen und willkürlich gewählt und gewichtet sind).
Grüße,
Heinz