Hallo Klaus,
danke für die schönen Bilder, deren erstes m. E. auch technisch besser gelungen ist.
Das erste Bild gefällt mir besser. Ich suche naturgemäß selbst meist nach Gründen, warum ich bei einer Auswahl etwas besser und etwas nicht so gut finde.
Was in diesem Sinne "Gründe" sind, die mir sofort einfallen und noch mehr solche, die ich nach einiger Überlegung finde, kann ich nicht gut beurteilen. Bei dem, was Du an Antworten erhältst, wirst Du das wohl auch bedenken. Die Antworten sagen mehr über ihren Verfasser selbst als über den beurteilten Gegenstand aus. Sie lassen erkennen, wie jemand aus Anlaß des beurteilten Objekts reagiert, und zwar auf Grund vorheriger, oft dabei unbewußt bleibender Erfahrungen.
Beide Bilder zeigen eine natürliche Landschaft, in der die Natur nicht von Menschen gezähmt und verunstaltet wurde. Aber wahrscheinlich wird dieses Stück Natur von Menschen zum Anblick angeboten und es wird Wege und andere Eingriffe geben, die gemacht wurden, damit Menschen hierhin kommen und sich das ansehen. Diese Art Prostitution von Naturschönheit und von Ursprünglichkeit, mit der Natur genutzt, übernutzt, "in Wert gesetzt" wird durch "fußläufige Verbindungen", Kioske, Massentourismus mit Vertreibung der Tiere und Ausrottung der Pflanzen, scheint hier allerdings nicht so weit getrieben zu sein wie unter beengteren Verhältnissen in Deutschland und in den meisten Teilen Zentraleuropas - jedenfalls sieht man sie nicht. Es wird aber meist auch so fotografiert, dass man Schäden und Artefakte möglichst ausblendet.
Das erste Bild also gefällt mir besser, weil es einen größeren Überblick über das gibt, was dort geschieht. Es bricht sich ein Gebirgsfluß Bahn durch den Fels und man kann ihn mit den Augen über eine kleine Strecke verfolgen. Die Situation vermittelt einen Einblick in ein "dramatisches" Geschehen: in die Auseinandersetzung zwischen Wasser und Stein.
Solche Szenerien werden traditionell als "großartig", "erhaben" usw. bezeichnet und wenn man ihnen nahe ist, entgeht dem Betrachter die Gefährlichkeit nicht, die mit einer zu großen Annäherung verbunden wäre. Es erfordert einen gewissen Mut, sich zu nähern. Aus der Psychosomatik wissen wir, dass der Mensch (auch die Primaten und andere Säugetiere) auf gefährliche Situationen mit der Bereitstellung von Kraft und Handlungsbereitschaft reagiert. Damit einher geht die Ausschüttung von u. a. Adrenalin (Noradrenalin, Vasopressin), was die eigene physische Kraft erhöht. Dagegen werden die erlernten Fähigkeiten, Fertigkeiten durch Neurotransmitter im Gehirn in ihrer Verwendung reduziert zugunsten angeborener Reaktionsinstrumente.
Eine der Begleiterscheinungen ist das Aufsträuben der Haare, besonders der Rücken- und Nackenhaare, wodurch das Individuum einen größeren Umriss erhält, der es Gegnern bedrohlicher erscheinen läßt. Bei Menschen ist dieser Vorgang fast nur noch als Kribbeln in den entsprechenden Gegenden spürbar. Dieser Komplex von Reaktionen stellt sich also ein, wenn man in eine als gefährlich beurteilte Lage kommt. Der Fremdenführer, der dort zum hundertsten Male ist, oder auch der erfahrene Bergsteiger, bleibt davon nach entsprechender Übung weitgehend frei.
Das erste Bild also löst in mir den Anflug solcher Gefühle aus und wird daher als Herausforderung angesehen, die seine Dynamik mit höherem Aufmerksamkeitsgrad verbindet, so dass mir dieses Bild eindringlicher erscheint.
Es kommen ästhetische Aspekte hinzu, die mit "unberührter Natur", mit dem Bildaufbau (zum Teil diagonal durch das Bild "tobender" Gebirgsfluß), "chaotisch" und wild in der Waagerechten dahineilendes Wasser versus steil aufragenden, "stoisch" dastehendem Fels zu tun haben und mit den Bäumen, die sich inmitten dieser abweisenden Umgebung niedergelassen haben und die dabei gedeihen.
Das zweite Bild läßt das Wasser nur als Dunstschleier erkennen, man sieht auch nicht, ob es vielleicht Rauch ist. Vieles von dem, was das erste Bild enthält, ist hier nicht zu sehen, wenngleich es auch "wild" ist. Sähe man es ohne das erste Bild, könnte man noch weniger damit anfangen.
Aber es hat keinen Zweck, hier jetzt differenzierter vorzugehen. So wäre, um das Urteil des Betrachters, des Kritikers gewissermaßen zu eichen, dessen "Erlebniskatalog" von Bedeutung, der, je nachdem wie seine Erlebnisse verarbeitet wurden, weitere Präferenzen oder Abneigungen erkennbar bzw. plausibel machen kann. (Nicht aber mit den "Methoden" der Psychoanalyse Befindlichkeiten mit Spekulationen "interpretieren" zu wollen, während dagegen das Bewußtmachen von Verdrängtem sinnvoll sein kann.)
Wenn jemand seine Hervorbringungen zur Beurteilung stellt, ist es auch oft lohnend, der Frage nachzugehen, aus welchen Gründen dies geschieht, denn die Bildkritik ist ein interaktiver Vorgang. Aber das gehört jetzt gar nicht mehr hierher.
Grüße, Heinz