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Psychologie des Sehens

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Rektalvioline

Hallo alle,

nachdem ich in letzter Zeit wiedermal über einige recht schräge Threads gestolpert bin, die sich meist irgendwie mit dem Sehen bzw. seinen Konsequenzen befassen, möchte ich dem in nichts nachstehen und drücke hier meine möglicherweise ebenso skurrilen Gedanken aus.

Unser Sehen beruht grösstenteils auf Erfahrung und Vergleichen. Da das Sehen sehr schnell und unbewusst abläuft, ist das eigentlich auch kein Thema. Wäre es nicht, wenn da nicht einige Unstimmigkeiten grundlegender Natur wären.
Eines der Grundprobleme ist, dass wir unser Sehen anhand von Gelerntem schulen. Beispielsweise wissen wir seit früher Kindheit, wie die Farbe rot aussieht. Irgendwann in unserer Kindheit hat uns jemand die Farben erklärt, und seither nennen wir dieselbe Farbe rot wie er. Soviel zur Erfahrung. Vergleichend stellen wir dann fest, dass dieses erlernte Farbsehen eine sehr breite Basis geniesst, so ist auch der Apfel rot, und wenn wir von blau reden, fallen uns allen dieselben Dinge ein, wie beispielsweise das Meer. Dieser grosse, gemeinsame Nenner könnte sehr leicht dazu verführen, allen Menschen dieselbe Sichtweise zu unterstellen. Dies ist aber schon in physikalischer Hinsicht gar nicht so einfach, stellen wir uns doch einmal vor, dass wir durch die Augen eines anderen Menschen sehen könnten. Und spinnen wir die Hypothese weiter und blicken nun auf eine rote Wand; und stellen fest, dass diese grün ist. Zumindest durch fremde Augen gesehen. Nun begeben wir uns flugs zurück in unsere eigene Optik, sehen die Wand wieder in rot und stellen den Besitzer der fremden Augen zur Rede. Worauf dieser steif und fest behauptet, dass die Wand rot ist.
Kein Wunder, wurden ihm doch bei denselben Dingen wie uns immer gesagt, das sei rot.
So verwendet er in tiefster Überzeugung und völlig systemkonform den Begriff rot für etwas, was wir unter Umständen als grün bezeichnen würden.
Die Hypothese ist ebenso übertrieben wie an den Haaren herbeigezogen. Und das lustige daran ist, dass wir nie so genau wissen, ob wir zu denjenigen gehören, die rot als rot sehen, oder als grün. Und da hilft auch die Wellenlehre nicht weiter, wir können zwar bestimmten Wellenlängen eine Farbe zuordnen, diese ist aber nach wie vor subjektiv empfunden.
Im Tierreich folgt das Farbempfinden der Notwendigkeit, so unterscheiden zum Beispiel Bienen grün und blau weitaus besser als wir.

Ein interessantes Phänomen aus der menschlichen Kulturgeschichte ist die Epoche des Impressionismus. Ganz abgesehen von den vielen Seharten, die dort gelehrt wurden, erscheint eine neue Art, Farben zu sehen. Ich habe an mir selber festgestellt, dass es gar nicht so einfach ist, Farben wirklich wahrzunehmen. Ein erster Blick in eine dunstige Spätsommerlandschaft erscheint nicht so sehr faszinierend, wenn man dann aber an seiner eigenen, internen Brille rüttelt und sich mal nur auf die Farben konzentriert, wird man einige Überraschungen erleben. So sind eigentlich als grün empfundene Wälder bei genauem Hinsehen tiefblau, und Wiesen entpuppen sich als violett. Diese Sichtweise widerspricht offensichtlich dem erlernten gemeinsamen Nenner, dessen Wurzeln wahrscheinlich in der Frühzeit liegen. Daher muss man sie sich erst mehr oder minder mühselig aneignen. Als Ausgleich dafür offenbart sie einem eine echte kleine Wunderwelt. Und ganz nebenbei versteht man plötzlich die Bilder der Impressionisten.
Bekanntlich neigt die menschliche Optik zu gewissen Schwächen. So sinkt die Fähigkeit, in die Nähe zu fokussieren mit zunehmendem Alter genauso wie die Linsen langsam trüber werden.
Dem entgegen steht die ständig anwachsende Lebenserfahrung des Fotografen. Wobei es auch da ebensogrosse Unterschiede gibt, wie beim Farbensehen. Wer sein Lebensziel in einer Einfamilienhausidylle sieht, wird wahrscheinlich eine andere Sicht der Dinge besitzen als derjenige, der sich ein Leben lang bemüht, hinter die Dinge zu sehen. Dementsprechend wird sein persönlicher Stil beeinflusst, und wenn er ganz viel Glück hat, dann spürt man hinter seinen Bildern den Fotografen.
Nun hat die liebe Fotografie aber einen zusätzlichen Haken. Sie ist insofern sehr eingeschränkt in ihren Möglichkeiten, als sie nur das abbildet, was real vor der Linse steht. Sie ist ähnlich wie ein Spiegel aufzufassen, der zwar spiegelverkehrt, aber eben nur zeigt, was schon vorhanden ist. Im Gegensatz dazu gewährt einem die Malerei bedeutend mehr Freiheiten.
Kein Wunder, wenn Fotografie heute eine vieldiskutierte Tätigkeit ist.
Was mich persönlich aber eher erstaunt, ist die Tatsache, dass technische Details sehr gerne diskutiert werden, der seelische Aspekt des Fotografierens jedoch wird kaum je erwähnt. Selbstverständlich bietet die Technik eine allgemeinverträglichere Basis für den Erfahrungsaustausch, schlimmstenfalls kann man dabei ja auf mathematische Werte zurückgreifen. Die seelische Seite ist da schon etwas schwerer fassbar, aber deswegen nicht minder interessant.
Habt Ihr auch so gewisse Bilder, die tief aus Eurer Seele zu kommen scheinen ? Ich habe einige dieser Fotos, teils sind sie wirklich "unter Qualen" entstanden. Wobei die Qualen meist mit längerem Warten verbunden waren, irgendwo in der Kälte, oder in praller Sonne, oder am liebsten an einem unmöglichen Standort, wartend bis die obligate Wolke verschwindet...

ein Gruss
Tante Ilse
alias Gregor Vutzakoff
 
Also Tante Ilse,

hast Du es wahr gemacht, was Du gestern im Chat angedeutet hattest.

Deine Gedanken gefallen mir sehr gut und bevor ich mich irgendwie dazu und/oder darüber auslasse werde ich es mir noch einige Male auf der Zunge, besser durch meine Gehirnwindungen und meine Seele - wo immer sie auch bei mir sitzt - gehen lassen.

Danke für diesen Artikel ! Schön, daß wir auch diese philosophische Ader hier leben können.

Bei Gelgenheit mehr s.o.

Mit nachdenklichen Grüßen aus Bonn

Monti
 
Hallo Gregor,
danke dir für diese schönen Gedanken, die mich sehr berühren! Du sprichst mir aus der Seele. Ich hatte nur 5 Sterne - mehr konnte ich dir deshalb leider nicht geben.

Gruß aus Berlin, Peter
 
Hallo alle, nochmals,

ich musste feststellen, dass mein alias missverstanden wurde. Ich heisse nicht Gregor, es gibt lediglich einen virtuellen Gregor Vutzakoff, der allerdings in unserer Poststelle bestens bekannt ist. Er dient mir in übermütigen Momenten zum Ausfüllen von Werbeantwortkarten.
Es war keineswegs meine Absicht, hier jemanden damit in die Irre zu führen oder gar zu verarschen. Ich habe mich im schreiberischen Überschwang am Schluss zu einem (hier unpassenden) Blödsinn hinreissen lassen und bitte Euch alle, darüber hinwegzusehen.
Mir liegen meine Worte halt weitaus näher als mein Name, und ich möchte an dieser Stelle einmal allen danken, die mich so akzeptiert haben oder noch daran arbeiten. Meine neueste faule Ausrede ist, dass ich hier in einem Forum, wo es um künstlerisches Werkzeug geht, unter meinem Künstlernamen auftrete.

herzliche Grüsse
Tante Ilse oder so
 
Äh, da wäre noch was....

Das mit den Sternen geht mir ja ordentlich unter die Haut. Huch !

Danke vielmals
 
Mensch, Tante Gregor, du und deine abstrusen Pseudonyme!!! *seufz*
Doch akzeptiert bist du ja längst.

Gute Nacht!
 
Hallo Ilse,

auch ich möchte dir herzlich zu dem schönen Beitrag gratulieren. Er hat höchstes emotionales und intellektuelles Niveau.

Ich hatte mich gestern zunächst schon ein wenig gefreut, dass du deine Anonymität ein Bisschen gelockert hättest, da du doch in unserem Kreis immer mehr Anerkennung findest. Trotzdem hatte ich später das Gefühl, dass der Name Gregor nicht stimmt. Darum habe ich auch gestern noch nicht dein Posting kommentiert.

Eines scheint mir inzwischen aber sicher, was viele schon vermuten, dass hinter deiner Fassade ein Mann steht!

Gruß aus dem morgentlichen Westerwald
Jochen
 
Hallo,
ich habe neulich ein sehr schoenes Zitat von Dorothea Lange gefunden, das sehr gut zu Tante Ilses (oder so) Beitrag passt:

"Die Kamera ist ein Instrument, das Menschen lehrt, ohne Kamera zu sehen."

Ich fand das sehr passend, weil es meine Erfahrungen widerspiegelt. Je mehr man photographiert und sich die Welt dann im 35er Format betrachtet, desto mehr nimmt man Dinge wahr: Strukturen, Linien, Farben, Verbindungen zwischen diesen, Kontraste, Blicke, Koerperhaltungen, Stimmungen etc. etc. etc.
Ich habe jedenfalls bemerkt, dass ich die Welt um mich immer bewusster betrachte. Eine absolute Bereicherung. Insofern ist auch hier die Kamera ein Instrument, das mich persoenlich weiterbringt. Das Endprodukt Photo ist dann zwar immer noch wichtig, aber eigentlich gar nicht so entscheidend. Am wichtigsten ist die Verinnerlichung des Augenblickes waehrend der Aufnahme!
In diesem Sinne, stefan
 
Hallo

Diese Beobachtung habe ich an mir selber auch gemacht. Dabei ist für mich die Beobachtung von Menschen die grösste Bereicherung. Es ist aber nicht eine Beobachtung im Sinne eines Detektives oder Paparazzos, sondern eher eine Art Lesen eines Gesichtes oder einer Körperhaltung - total faszinierend.

Freundliche Grüsse
Hans Villars
 
Hallo Stefan aus Shanghai,

"am wichtigsten ist die Verinnerlichung des Augenblickes während der Aufnahme", damit bringst es auf den Punkt! Momentan fehlen mir noch die Worte, um mehr dazu sagen zu können, muss erst mal nachdenken gehen.

Danke für diese Zeilen!

Grüße aus Stuttgart
(auch) Stefan
 
Moin Stefan, moin Hans.

Genau das macht das Fotografieren aus. Den Blick schärfen. Von wegen Adlerauge.
Unabhängig von der Brennweite (Stefan) entweder man entdeckt etwas, oder man ist blind. Es ist wirklich ein einzigartiger Prozess. Ich kenne das. Auch wenn das ein Außenstehender nicht nachvollziehen kann. Genau dieses Erkennen ist eigentlich der Schritt des Festhaltens, unabhängig von jeder Technik. Dieses Vermögen ist viel mehr wert als der neueste Kamerapark. Ich sage einmal ganz ketzerisch; lieber eine Lomo in der Hand als eine Leica in der Vitrine.
Zu meiner Schande muß ich gestehen das ich in der letzten Zeit zusehens blinder werde.

Traurige, aber selbstbewußte Grüße, Harald.
 
Hallo Stefan (A.),

ich muss auch zugeben, dass ich ständig mit einem fotografischen Blick durch die Gegend renne. Die Umwelt nehme ich bewusster wahr. Besonders begeistern mich das goldene Licht der Abenddämmerung, Schneelandschaften und das Herbstlaub, manchmal aber auch die Blüten des Frühlings.

Wenn ich dann meinen mich begleitenden Personen von meinen Empfindungen berichte, stoße ich häufig auf Unverständnis. Da bin ich doch ganz froh, dass ich meine Frau begeistern konnte, auch den (noch ausgeprägteren) fotografischen Blick zu entwickeln. Das wurde zwar auf die Dauer sehr teuer, da meine Frau auch ihre individuelle und (noch) teure(re) Fotoausrüstung haben wollte, aber der gemeinsame fotografische Blick hat doch das gegenseitige Verständnis für einander wesentlich vertieft.

Übrigens habe ich schon an anderer Stelle hier im Forum erwähnt, dass ich mein Umfeld brennweitenabhängig betrachte. Dieser "Brennweitenblick" ist typisch für Leute, die wie ich nur mit Festbrennweiten fotgrafieren. Bei meiner Frau ist dieser "Brennweitenblick" weniger deutlich ausgeprägt, da sie bevorzugt mit Varios arbeitet.

Gruß Jochen
 
Hallo,
das ist ja ein sehr interessanter Beitrag.

Wenn jemand eine rote Tür so sieht, wie ich grün sehe und diese Farbe dann als rot bezeichnet, dann müsste er aber ein völlig anderes ästetisches Empfinden haben als ich. Ich habe einen rot-grün-blinden Freund, mit Ihm kann man in der Tat solche Erlebnisse haben, eine für meine Augen unerträgliche Farbzusammenstellung kann Ihm durchaus gefallen.

Ein weiterer Aspekt ist die anerzogene Wahrnehmung. Durch unsere Schrift sind wir (in Europa) dazu erzogen den Bildzugang von oben links zu suchen. In anderen Kulturen kann dies anders sein. Auch hierdurch wird die Bildwirkung sicherlich beeinflusst.

Gruß,
Bernd.
 
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