19 Stunden später...
Hallo
dicki, Du schriebst
................nur schöne Bilder gibt es (inzwischen) zu viele, als dass ich damit meine immer knappere Lebenszeit verplempern will. Was mich also an einem Foto besonders anzieht, ist, zu spüren, dass mir da jemand was sagen will....................
Das seh ich nicht so. Ich guck mir gerne schöne Bilder an. Die ziehen mich auch besonders an und ich spüre, daß mir auch da jemand etwa sagen will. Und wenn mir der Jemand nur ein schönes Bild zeigen will. Find ich toll.
Wie ich ja schon in meiner ersten Wortmeldung schrieb, ein Riesenthema, mit dem wir uns im Studium semesterlang herumgeschlagen haben: "Form vs. Inhalt" usw. usf.
Um's nicht ausufern zu lassen, vielleicht erstmal zum Obigen: Klar, ich gucke mir auch gern schöne Bilder an, aber schau Dir mal so eine 20-Minuten-Diashow
nur schöner Bilder bei Youtube, untermalt mit Wellness-Musik, an, dann wirst Du nach ein paar Minuten verstehen, was ich meine. Hunderte von Fotos, immer hübsch im 10-Sekunden-Takt, eins schöner als das andere: Sonnenaufgänge im Grand Canyon, Schmetterlinge auf taunassen Blütten, ziehende Nebel im Hochgebirge, spielende Kinder, schneebedeckte Gipfel und was immer noch man schön finden kann... Spätestens gegen Ende des Films guckt man gar nicht mehr hin, so als hätte man eine Woche lang seine Lieblingsschokolade essen müssen (und nichts anderes!).
Die älteren unter Euch werden sich noch erinnern, dass man früher von 'nem Wandkalender, wenn das Jahr rum war, die Tage abgeschnitten hat, um die Bilder, vielleicht sogar gerahmt, als Wandschmuck weiterzuverwenden. Bilder waren teuer in der Herstellung und deshalb wertvoll - nur in Kinderbüchern fand man sie häufig, oder in entsprechend teuren Bilderalben, in normalen "Erwachsenenbüchern" dagegen fehlten sie oft gänzlich. Das aber hat sich inzwischen total geändert, Stichwort "Bilderflut" bzw. "-inflation"...
Das nur zum Hintergrund meines von Dir zitierten Satzes. Was Du anschließend schreibst, nämlich
Unter Aussage in einem Bild verstehe ich den Anspruch, das der Betrachter für sich das Bild selbst frei interpretieren kann und darf. Sicher kann die Aussage, oder wird sie auch, in eine Richtung gelenkt.
verstehe ich nicht so ganz. Wessen Anspruch, des Fotografen oder des Betrachters? Wenn letzterer das Bild so interpretieren kann wie es ihm gefällt, verzichtet der Fotograf damit doch umgekehrt darauf, diese Interpretation in irgendeiner bestimmten Richtung zu lenken, oder?
Trotzdem ist ja die Frage: Müssen wir jetzt wegen der "Bilderflut" nur noch Bilder mit Aussagen machen?
Ich fürchte, "müssen" ist schon mal das ganz falsche Wort - ich kauf mir doch nicht irgendwelche teure Technik, um damit irgendwas zu "müssen", oder?

Und wenn doch, wer sagt das eigentlich, dass ich da was "muss"? Will sagen: Wenn man auf die Urteile der Umstehenden pfeift, muss man überhaupt nix und kann beispielsweise festplattenweise Babys auf Eisbärfellen oder spielende Welpen, Sonnenuntergänge usw. usf. ablichten. Wenn man dagegen
nicht drauf pfeift, muss man wahrscheinlich müssen

. "Müssen unsere Omas wegen der Textilienflut aus Fernost aufhören zu stricken?" Genaugenommen nicht, und ab und an sieht man tatsächlich auch noch eine mit Nadeln und Wollknäuel in der Bahn sitzen. Will sagen: Als letztes Rückzugsgebiet bleibt einem immer noch das "Privatvergnügen", der "Selbstzweck"...
Auch das hatten wir in meinem Studium: Alles, was der Mensch tut, lässt sich danach unterscheiden, ob es zu etwas anderen dient, also zB. der Maschinenbau oder das Schreiben eines Computerhandbuchs, oder ob es sein eigener Zweck ist, also das Trinken einer Maß Bier

oder das Schreiben eines Gedichts. Was man so "Kunst" nennt, ist dementsprechend in seiner reinsten Form immer "Selbstzweck". Und wohl dem, der damit nicht sein Brot verdienen muss.
Oder hat jedes Bild prinzipiell eine Aussage?
Ein (fotografisches) Bild ist seiner Natur ja erstmal eine zweidimensionale Reproduktion oder "Nachschöpfung" einer i.a. dreidimensionalen Vorlage (was wir ja spätestens seit dem Thread zum Urheberrecht alle wissen, beherzigen und deshalb keine Fotos fremder Kunstwerke mehr ins Netz stellen, gell?

).
Falls Bilder Aussagen enthalten, sollte sich also die Frage stellen, wie und an welcher Stelle sie da hineinkommen. Wenn ich einfach nur ein Gänseblümchen ablichte, hat das schon eine Aussage, und welche Aussage hat ein Gänseblümchen? Oder ein Wasserfall, ein Sonnenaufgang, eine tote Krähe
am Straßenrand? Ein überfahrener Igel
auf der Fahrbahn, ein bettelndes Kind, ein Polizist, der einen Demonstranten niederknüppelt?... Als blanke Tatsache - nicht als Bild! - erstmal vermutlich gar keine. Wenn wir im Internet erfahren, dass da irgendein schwarzes Loch eine ganze Galaxis verschluckt, fühlt sich das erstmal ziemlich "gefühlsneutral" an, oder?
In dem Moment aber, wo jemand diese Tatsache (die ja immer nur ein Ausschnitt des ganzen ist, man also auch immer fragen muss, was der Fotograf da alles weggelassen hat) in einen Rahmen fasst und ein Bild daraus macht, ändert sich die Situation. Nicht notwendigerweise auch gleich so, dass mir da, wie Du weiter oben schreibt, "jemand etwas
sagen will", im mindesten aber "etwas
zeigen". So nach dem Motto "Guck mal, findest du nicht auch, dass...?"
Wobei es ja das Schöne der Kunst ist, dass sie diese Frage auch in der Schwebe lassen kann. Bei Deinem Friedhofsbild etwa, dass man seinen Begleiter anstupst und sagt "Guck mal...", einen Moment stehenbleibt und für einen Augenblick das Unaussprechliche des Todes in sich fühlt...
Wobei es ja auch Kommunikationstheorien gibt, die
alles, also die gesamte Welt als Sprache bzw. Kommunikationsprozess auffassen. Eine der schönsten Formulierungen aus diesem Kreis stammt von dem russischen Semiotiker (Zeichenforscher) Jurij Lotman, der einmal sagte:
"Die Welt ist die Sprache, in der Gott sich mit sich selbst unterhält."
Danach wäre dann auch ein Gänseblümchen oder Marienkäfer ein "Wort", und ein Foto von ihnen wohl auch...
Oder verwechselt man Aussage mit Botschaft?
Um das zu klären, müsste man wohl noch tiefer in die Begriffsdefinitionen gucken, und in die Sprachtheorie. Wobei, wie wir aus dem Zweiten Weltkrieg, aber auch dem Vietnamkrieg wissen, ein und dasselbe Bild ganz verschiedene Aussagen oder Botschaften "transportieren" (in Wirklichkeit aber lediglich schon im Betrachter Schlummerndes wachrufen) kann....
Da ich jetzt schon ein paar Stunden an diesem Text schreibe

, will ich's kurz machen:
Bei manchen Bildern sehe ich über die rein visuellen Qualitäten hinaus noch so was wie eine zweite, "gedankliche" Ebene, sei es im Sinne einer klassischen "Aussage" oder "Botschaft", sei es einer bestimmten Farb- oder Raumkomposition, also das, was man mit den Worten "Da hat sich jemand was dabei gedacht" zusammenfassen würde. Und dann gibt es die viel zahlreicheren anderen Bilder, die bestenfalls einfach nur handwerklich perfekt sind, ansonsten aber etwa soviel "Nährwert" haben wie ein Hamburger, quasi "Fastfood für die Augen". Und im Zweifel bevorzuge
ich dann halt die ersteren.
Ufff!
QN