Ich habe erst vor kurzen die lange Diskussion hier gefunden: Gut so: 88 zum Teil tolle Gedankenbeiträge zum Forum, fast mehr Beiträge hier als für alle fast 20 Fotos im Forum zusammen!
Also haben wir mehr Zeit als wir so denken. Gut so.
Ich sehe leider im Forum selbst immer wieder Kurzkritiken: "dies oder das gefällt mir nicht so". Punkt und Schluss der Kritik.
Dann oft ein kurzes 'Gruppendenken' mit einer zweiten oder dritten Kritik, die der Ersten recht gibt, ala "Ich sehe das genau so."
Was da - für mich und den Erfolg dieses Forums - fehlt ist das "warum", "wieso ist dies und das ein Makel?".
Kritiken ohne Erklärung des eigenen Standpunktes sind wertlos.
Wie würde es das Bild verbessern, wenn ... mit mehr Hintergrund, satteren Farben, anderen Anschnitten, ... das Bild neu fotografiert würde? Ohne die meist sowieso offensichtlichen ersten Eindruck Makel ...
(Es sind nämlich meist ganz bewusst hineingebrachte Beschränkungen, Bescheidungen, Effekte des Fotografen und eine 'Verbesserung' des Bildes würde es abwerten ... ]
Das 'warum' erfordert ein wenig Zeit, klares Denken und visuelles Durchdringen seitens des Kritikers. Wie kann man sonst ein 'besonderes Bild' überhaupt sehen?
Ich denke da an Vermeers 'Mädchen mit dem Roten Hut' zum Beispiel, habe es vorgestern ganz eifrig im Original angesehen. Da schneidet der Jan V. doch einfach den Ellbogen ab, na so etwas, welche in Makel!
Oder Cézannes Mont Victoire Bilder und Skizzen hängen immer ein wenig schräg im Horizont. Wie dilettantisch blöd, da würde doch niemand Millionen für solch mangelhafte Bilder hinlegen. ...
Oder C-Bs Pfützenspringer: ganz bewegungsunscharf, der Mann; was für ein Desaster, gehört bei mir gleich in den Abfall. Und so was kostet dann 20,000 $. Unmöglich ...
Aber eben doch!
Ich denke wir sollten hier die drei Standard-Regeln aller Kritik beachten:
(0) Erster persönlicher Eindruck ist ganz ok, schnell 'mag ich' oder 'mag ich nicht' Gefühle ruhig ausdrücken. Dann aber Halt! Und hinterfragen.
(1) Die eigenen Verbesserungs-Alternativen ernsthaft visuell nachvollziehen. Verarbeiten, durchdenken. Und danach:
(2) Ein wenig künstlerische Toleranz üben, sich die Schuhe des Fotografen anziehen:
Was hat denn der Fotograf mit all diesen Fehlern im Bild gewollt, was sagt das Bild trotz alledem? Was will er zeigen, sagen, was zeigt und sagt das Bild, was er? Was stellt das Bild dar?
Und : Wie beeinflussen 'meine' gefundenen Makel am Bild das Bild selbst, was ist von denen eventuell sogar positiv, liefert die Dramatik und Spannung des Bildes,
gibt uns/mir mehr als eine lotrecht-banale 'richtige' Fotokopie des Raumes vor der Kamera. Schafft vielleicht sogar ein Kunstwerk, mit (vielen) Bedeutung(en), eben durch die bewusst vom Künstler gewählten Makel.
(3) Und dann am Schluss die Gesamtsynthese: Ein größeres Verständnis des Bildes, der Mitmenschen, der Welt, der Kunst, aufgrund des einen besonderen Bildes.
Mit diesen 3+ Schritten werden unsere Kritiken immer besser, unsere Selbstkritikfähigkeit und unser Verständnis wachsen, das eigene visuelle Wachsen beginnt, wir lernen sehen.
Bildkritik <=> Schule des Sehens => Fotografie => Kunst
Frei nach J. Beuys: " Jeder Mensch ist ein Künstler. " Aber wir müssen alle daran arbeiten. Fangen wir also mit der Kritik an! In drei Schritten, von Null zu Drei! Viel Spaß.